"Nicht reanimieren" als Tatoo - Kann ein Tattoo als Patien­ten­ver­fü­gung gelten?

Zusammenfassung

Ein Tattoo mit dem Wunsch “Nicht reanimieren” oder “Nicht wiederbeleben” ist in Deutschland nicht rechtskräftig und kann im medizinischen Notfall zu Unsicherheiten führen. Stattdessen ist eine schriftliche, rechtsgültige Patien­ten­ver­fü­gung nach § 1827 BGB unverzichtbar, um den eigenen Willen klar und verbindlich festzulegen. Ein Tattoo kann höchstens als ergänzender Hinweis dienen, ersetzt jedoch nicht die formalen Anforderungen einer Patien­ten­ver­fü­gung.

In einem Krankenhaus in Miami geschah etwas Ungewöhnliches: Ein 70-jähriger Mann wurde bewusstlos eingeliefert. Als das medizinische Personal sein Hemd öffnete, entdeckten sie ein Tattoo auf seiner Brust mit den Worten “Do Not Resuscitate” (DNR), was auf Deutsch “Nicht wiederbeleben” bedeutet, und einer Unterschrift. Die Ärzt:innen standen vor einem Dilemma: Sollten sie diesen tätowierten Wunsch respektieren oder lebensverlängernde Maßnahmen einleiten?[2][3]

Person sitzt an einem Holztisch mit einem Dokument, das wichtige Informationen oder rechtliche Inhalte enthält.

Wenn der letzte Wille unter die Haut geht

Der Fall aus Miami ist kein Einzelfall. Menschen entscheiden sich aus verschiedenen Gründen dafür, ihren letzten Willen als Tattoo zu verewigen. Die Niederländerin Nel Bolten ließ sich beispielsweise die Worte “Nicht reanimieren!” auf die Haut stechen. Auch in Deutschland gibt es Fälle von Menschen, die ihren letzten Willen in Form eines Tattoos festhalten möchten.[11]

Die Motivation hinter solchen Entscheidungen ist nachvollziehbar: Im Notfall soll der eigene Wille sofort sichtbar sein, ohne dass nach Dokumenten gesucht werden muss. Laut einer repräsentativen Umfrage kennen zwar etwa 92% der Menschen in Deutschland das Instrument der Patien­ten­ver­fü­gung, aber nur 37% haben tatsächlich eine erstellt.[7] Gleichzeitig sind etwa 20% der deutschen Bevölkerung tätowiert.[10] Da liegt der Gedanke nahe, beide Aspekte zu verbinden.

Die rechtliche Lage in Deutschland

In Deutschland ist die Patien­ten­ver­fü­gung gesetzlich klar geregelt. Nach § 1827 BGB gilt: “Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patien­ten­ver­fü­gung), prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation des Betreuten zutreffen.”[4]

Entscheidend ist hier das Wort “schriftlich”. Ein Tattoo allein erfüllt nicht die formalen Anforderungen einer rechtsgültigen Patien­ten­ver­fü­gung in Deutschland. Medizinische Fachkräfte sind daher nicht verpflichtet, sich ausschließlich an einem Tattoo zu orientieren.[12]

Das Dilemma für das medizinische Personal

Ärzt:innen stehen bei einem Patienten mit einem “Nicht reanimieren”-Tattoo vor mehreren Herausforderungen:

1. Aktualität des Wunsches

Ein Tattoo kann vor Jahren gestochen worden sein. Der Wunsch könnte sich seitdem geändert haben, während das Tattoo bleibt.[12]

2. Ernst oder Scherz?

Es gibt dokumentierte Fälle, in denen solche Tattoos nicht ernst gemeint waren. Ein 59-jähriger Patient mit einem “D.N.R.”-Tattoo erklärte später, dass es das Ergebnis einer verlorenen Wette beim Pokern sei und nicht seinem tatsächlichen Willen entspreche.[2][3]

3. Rechtliche Unsicherheit

Ohne eine formale Patien­ten­ver­fü­gung bewegen sich Ärzt:innen in einer rechtlichen Grauzone. Bei Unklarheit über den Patien­ten­willen entscheiden sie daher meist für lebenserhaltende Maßnahmen, auch zum eigenen Schutz vor möglichen rechtlichen Konsequenzen.[12]

Im Fall des 70-jährigen Mannes aus Miami konsultierte das Krankenhaus schließlich die Ethik­kommission, die empfahl, den Wunsch des Patienten zu respektieren. Der Mann verstarb in der folgenden Nacht.[2]

Risiken eines "Nicht reanimieren"-Tattoos

Ein Tattoo als alleinige Form der Patien­ten­ver­fü­gung birgt erhebliche Risiken:

Für Patient:innen:

  • Der Wunsch könnte ignoriert werden, weil das Tattoo allein nicht rechtlich bindend ist
  • Ersthelfer:innen könnten verunsichert sein und wertvolle Zeit verlieren
  • Bei Meinungsänderung lässt sich ein Tattoo nicht so einfach “aktualisieren” wie ein Dokument

Für medizinisches Personal:

  • Ethisches Dilemma zwischen Respekt vor dem Patien­ten­willen und rechtlicher Absicherung
  • Unsicherheit, ob das Tattoo den aktuellen Willen widerspiegelt
  • Mögliche rechtliche Konsequenzen bei Fehlentscheidungen

Sinnvolle Alternativen

Eine rechtsgültige Patien­ten­ver­fü­gung ist unverzichtbar. Wer seine Wünsche für medizinische Notfälle festhalten möchte, sollte:

  1. Eine schriftliche Patien­ten­ver­fü­gung nach den gesetzlichen Vorgaben erstellen
  2. Diese regelmäßig aktualisieren und mit Datum versehen
  3. Nahestehende Personen über deren Existenz und Aufbewahrungsort informieren

Eine moderne Ergänzung sind QR-Code-Systeme. Hierbei wird ein QR-Code auf der Gesundheitskarte oder dem Personalausweis angebracht, der den schnellen Zugriff auf die digitale Version der Patien­ten­ver­fü­gung ermöglicht.[11]

Rechtsanwalt Wolfgang Putz, Spezialist für Medizinrecht, empfiehlt eine klare und konkrete Formulierung in der Patien­ten­ver­fü­gung: “Wenn ich mich dauerhaft und unumkehrbar wegen Verlusts meiner kognitiven Fähigkeiten zur Behandlung meiner Erkrankung nicht mehr äußern kann, dann verbiete ich lebens- und leidensverlängernde Maßnahmen und wünsche mir nur noch eine palliative Unterstützung im Sterbeprozess.”[6]

Wenn es unbedingt ein Tattoo sein soll

Wer zusätzlich zur rechtsgültigen Patien­ten­ver­fü­gung ein Tattoo möchte, sollte:

  • Auf dem Tattoo selbst vermerken, dass eine rechtsgültige Patien­ten­ver­fü­gung existiert
  • Den aktuellen Aufbewahrungsort der Patien­ten­ver­fü­gung mit angeben
  • Eine Kontaktperson nennen, die im Notfall Auskunft geben kann

Eine Patientin namens Boguslawa berichtet: “Vor dem Tod habe ich keine Angst. Ich empfinde meine Patien­ten­ver­fü­gung und mein Tattoo als große Erleichterung. Ich weiß, dass ich durch beides Vorsorge getroffen habe.”[6]

Rechtliche Stärkung des Patien­ten­willens

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. September 2024 bekräftigt die Bedeutung des Patien­ten­willens. Der Medizinrechtler Putz bezeichnet dieses Urteil als “Sensation, eine Zeitenwende für die Patien­tenrechte”.[6] Dies unterstreicht, wie ernst der Wille von Patient:innen genommen werden muss - allerdings nur, wenn er in rechtlich anerkannter Form vorliegt.

Fazit: Patien­ten­ver­fü­gung statt Tattoo

Ein Tattoo mit dem Wunsch “Nicht reanimieren” mag auf den ersten Blick praktisch erscheinen, hat in Deutschland jedoch keine rechtliche Bindungswirkung für medizinische Fachkräfte. Es kann sogar zu Verzögerungen und Unsicherheiten führen.

Wenn Sie Ihre Wünsche für medizinische Notfälle festlegen möchten:

  1. Erstellen Sie eine formelle, schriftliche Patien­ten­ver­fü­gung
  2. Bewahren Sie diese an einem leicht zugänglichen Ort auf
  3. Informieren Sie Ihre Angehörigen und Ihre Hausärztin oder Ihren Hausarzt
  4. Tragen Sie einen Hinweis auf Ihre Patien­ten­ver­fü­gung bei sich

Ein Tattoo kann höchstens als ergänzender Hinweis dienen, nicht aber als Ersatz für eine rechtsgültige Patien­ten­ver­fü­gung. Nur so stellen Sie sicher, dass Ihre Wünsche im Ernstfall rechtlich bindend sind und respektiert werden.