BGH-Urteil vom November 2018: Entscheidende Klar­stellung bei Patien­ten­verfügungen im Wach­koma­fall

Zusammenfassung

Das BGH-Urteil vom November 2018 bestätigt, dass Patien­ten­verfügungen klar und präzise formuliert sein müssen, um im Ernstfall bindend zu sein. Es reicht aus, Behand­lungs­maßnahmen direkt zu benennen oder auf spezifische medizi­nische Situationen Bezug zu nehmen. Ergänzende mündliche Äußerungen können helfen, mögliche Unklarheiten aufzulösen, weshalb regelmäßige Überprüfungen und Gespräche mit Angehörigen empfohlen werden.

Das Bundes­gerichts­hof-Urteil von 2018 zeigt, wie wichtig eine klar formulierte Patien­ten­verfügung ist. Nach zehn Jahren im Wach­koma durfte eine Patientin sterben, nachdem der BGH die Bin­dungs­kraft ihrer Verfügung bestätigte. Dabei klärte das Gericht grund­legende Fragen zur not­wendigen Kon­kret­heit von Patien­ten­verfügungen und stärkte das Selbst­bestimmungs­recht von Patient:innen.

Ältere Frau mit grauem Haar ruht in einem Krankenhausbett mit weißer Bettwäsche in einem hell erleuchteten Zimmer

Der Fall: Zehn Jahre Wach­koma und ein Familien­konflikt

Im Jahr 1998 erstellte eine Frau eine Patien­ten­verfügung, in der sie fest­legte, dass lebens­verlängernde Maß­nahmen unter­bleiben sollten, wenn “keine Aus­sicht auf Wieder­erlangung des Bewusst­seins besteht” oder “aufgrund von Krank­heit oder Unfall ein schwerer Dauer­schaden des Gehirns zurück­bleibe”[1][2]. Zusätzlich äußerte sie gegen­über Familien­mit­gliedern und Bekannten mehr­fach, dass sie nach Kennt­nis zweier Wach­koma-Fälle in ihrem persön­lichen Umfeld nicht künst­lich ernährt werden wolle[2][11]. Sie betonte, dass sie “nicht so am Leben erhalten werden” und “lieber sterben” wolle[11].

Im Jahr 2008 erlitt die damals 68-jährige Frau einen Schlag­anfall[2][5]. Nach einem Herz-Kreis­lauf­stillstand fiel sie in einen wach­koma­tösen Zustand und wurde über eine Magen­sonde künst­lich ernährt sowie mit Flüssig­keit versorgt[1][2]. Bei einer ein­maligen Gelegen­heit nach dem Schlag­anfall konnte die Frau trotz Tracheal­kanüle sprechen und sagte zu ihrer Thera­peutin: “Ich möchte sterben”[11].

2012 wurden der Sohn und der Ehe­mann der Betroffenen als Be­treuer bestellt[1]. Es ent­stand ein Konflikt: Während der Sohn - im Ein­vernehmen mit dem bis dahin be­handelnden Arzt - die Ein­stellung der künstlichen Er­nährung und Flüssig­keits­zufuhr be­fürwortete, lehnte der Ehe­mann dies ab[1][2][5]. Diese Mei­nungs­verschiedenheit führte zu einem mehr­jährigen Rechts­streit.

Das Rechts­problem: Wider­sprüchliche Aus­legungen der Patien­ten­verfügung

Die Schwierig­keit in diesem Fall lag in der Inter­pretation der Patien­ten­verfügung. Neben der Ableh­nung lebens­verlängernder Maß­nahmen ent­hielt das Doku­ment auch den Satz, dass die Patientin “keine aktive Sterbe­hilfe” wünsche. Dieser schein­bare Wider­spruch führte zu unter­schiedlichen Aus­legungen: Der Ehe­mann argu­mentierte, dass ein Ab­bruch der künst­lichen Ernährung als aktive Sterbe­hilfe zu werten sei und daher nicht dem Willen seiner Frau ent­spreche.

Das Land­gericht Lands­hut musste eine Neu­bewertung der Patien­ten­verfügung vor­nehmen. Nach einer sorg­fältigen Prüfung kam das Gericht zu dem Schluss, dass die Patientin eine für ihre Situation wirk­same Patien­ten­verfügung erstellt hatte[1]. Ein neuro­logisches Sach­verständigen­gutachten bestätigte zudem, dass die Frau einen schweren und irrever­siblen Hirn­schaden erlitten hatte und keine Aus­sicht auf Wieder­erlangung des Bewusst­seins be­stand[7].

Der BGH-Beschluss vom 14. November 2018

Der Bundes­gerichts­hof bestätigte mit seinem Beschluss vom 14. November 2018 (Az. XII ZB 107/18) die Ent­scheidung des Land­gerichts Lands­hut[2][4]. Die Karls­ruher Richter:innen wiesen die Be­schwerde des Ehe­manns ab und stellten fest, dass die Patien­ten­verfügung hin­reichend konkret war[1][5].

Der BGH betonte, dass die Betroffene mit ihrer For­mulierung “keine Aus­sicht auf Wieder­erlangung des Bewusst­seins” eine medizi­nisch ein­deutige und hin­reichend konkrete Lebens- und Behand­lungs­situation be­schrieben hatte[7]. Diese Situation lag nach fach­ärztlicher Ein­schätzung vor, wodurch die Patien­ten­verfügung An­wendung finden musste[7].

Besonders wichtig: Der BGH stellte klar, dass die An­forderungen an die Konkret­heit einer Patien­ten­verfügung “nicht über­spannt werden” dürfen[5]. Die präzise Be­nennung un­erwünschter Behand­lungs­maßnahmen kann “im Einzel­fall” durch eine “Bezug­nahme auf aus­reichend spezi­fizierte Krank­heiten oder Situationen” ersetzt werden[4].

Was bedeutet das Urteil für Patien­ten­verfügungen?

Das BGH-Urteil hat grund­legende Bedeutung für alle, die eine Patien­ten­verfügung erstellen oder bereits erstellt haben. Es bestätigt folgende wichtige Punkte:

Anforderungen an die Konkretheit

Eine Patien­ten­verfügung muss nach wie vor konkret formu­liert sein[4]. Allgemeine Formulierungen wie “keine lebens­erhaltenden Maß­nahmen” oder “würde­volles Sterben ermög­lichen” reichen in der Regel nicht aus[5]. Das Urteil zeigt aber auch, dass die An­forderungen an die Konkret­heit nicht über­trieben werden sollten[5].

Der BGH hat festgestellt, dass zwei Wege möglich sind, um die not­wendige Konkret­heit zu erreichen:

  1. Direkte Benennung von Behand­lungs­maßnahmen: Sie können genau fest­legen, welche medizi­nischen Maß­nahmen Sie in bestimmten Situationen ablehnen oder wünschen (z.B. “keine künst­liche Ernährung über eine Magen­sonde”)[4].

  2. Bezugnahme auf spezifische Krank­heiten oder Situationen: Alter­nativ können Sie auf klar definierte medizi­nische Zustände Bezug nehmen (z.B. “im Fall eines irrever­siblen Wach­komas”)[4].

Die Bedeutung von ergänzenden Willens­äußerungen

Das Urteil zeigt auch, wie wichtig ergän­zende Willens­äußerungen sein können. Die mehr­fachen Äußerungen der Patientin gegen­über Angehörigen und ihre einmalige Aussage gegen­über der Thera­peutin wurden bei der Aus­legung ihrer Patien­ten­verfügung berück­sichtigt[2][11]. Diese münd­lichen Äußerungen halfen, schein­bare Wider­sprüche in der schrift­lichen Verfügung auf­zulösen.

Praktische Empfehlungen für Ihre Patien­ten­verfügung

Auf Basis des BGH-Urteils lassen sich folgende Empfehlungen für die Erstellung einer rechts­sicheren Patien­ten­verfügung ableiten:

Medizinisch präzise Formulierungen verwenden

Der BGH betont die Not­wendigkeit “maximaler medizi­nischer Genauig­keit bei allen Fest­legungen”[4]. Achten Sie darauf, dass Ihre Patien­ten­verfügung:

  • medizinisch ein­deutige Begriffe verwendet
  • konkrete Behand­lungs­situationen benennt
  • klar fest­legt, welche Maß­nahmen Sie ablehnen oder wünschen
  • keine wider­sprüchlichen Angaben ent­hält

Regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung

Eine Patien­ten­verfügung sollte regel­mäßig über­prüft und gegebenen­falls aktualisiert werden. Dies ist besonders wichtig, wenn:

  • sich Ihr Gesund­heits­zustand verändert hat
  • neue medizi­nische Behand­lungs­möglich­keiten ent­wickelt wurden
  • sich Ihre persön­lichen Wünsche und Vor­stellungen geändert haben

Sprechen Sie mit Ihren Angehörigen

Der Fall zeigt, wie belastend Konflikte zwischen An­gehörigen sein können. Sprechen Sie mit Ihren Familien­mit­gliedern über Ihre Wünsche und erklären Sie ihnen die Fest­legungen in Ihrer Patien­ten­verfügung. Dies kann spätere Konflikte vermeiden.

Rechtliche Grund­lage beachten

Die gesetz­liche Grund­lage der Patien­ten­verfügung in Deutsch­land ist in § 1827 BGB verankert. Dieser Para­graph regelt, dass eine Patien­ten­verfügung für Betreuer:innen und Bevoll­mächtigte bindend ist, wenn sie auf die aktuelle Lebens- und Behand­lungs­situation zutrifft.

Kritische Prüfung bestehender Patien­ten­verfügungen

Wenn Sie bereits eine Patien­ten­verfügung haben, sollten Sie diese kritisch über­prüfen:

  • Ent­hält sie ausschließ­lich präzise medizi­nische Fest­legungen?
  • Vermeidet sie allgemeine Formu­lierungen wie “fort­geschrittene Krank­heit” oder un­spezifische Begriffe wie “künst­liche Beatmung”?
  • Sind die beschriebenen Situationen medizi­nisch ein­deutig?
  • Gibt es Wider­sprüche zwischen einzelnen Fest­legungen?

Wenn Sie bei einem dieser Punkte unsicher sind, sollten Sie Ihre Patien­ten­verfügung über­arbeiten lassen. Allgemeine Formu­lierungen und Un­genauig­keiten können dazu führen, dass Ihre Patien­ten­verfügung im Ernstfall als unwirk­sam ein­gestuft wird[4].

Fazit: Patien­ten­verfügungen müssen klar und präzise sein

Der BGH-Beschluss vom November 2018 hat die An­forderungen an Patien­ten­verfügungen klar­gestellt: Sie müssen medizi­nisch präzise sein, aber die An­forderungen an die Konkret­heit dürfen nicht über­spannt werden[4][5]. Eine Patien­ten­verfügung kann ent­weder durch die direkte Benennung von Behand­lungs­maßnahmen oder durch die Bezug­nahme auf spezi­fische Krank­heiten und Situationen die not­wendige Konkret­heit erreichen[4].

Für Sie bedeutet dies: Nehmen Sie sich Zeit für die Erstellung Ihrer Patien­ten­verfügung und lassen Sie sich fach­kundig beraten. Eine sorg­fältig formu­lierte Patien­ten­verfügung stellt sicher, dass Ihr Wille auch dann respek­tiert wird, wenn Sie ihn selbst nicht mehr äußern können.