BGH-Urteile zur Patien­ten­ver­fü­gung: Warum präzise For­mu­lie­run­gen lebens­wich­tig sind

Zusammenfassung

Eine Patien­ten­ver­fü­gung ist nur dann wirksam, wenn sie konkret und präzise formuliert ist. Allgemeine Aussagen wie “keine lebens­er­hal­ten­den Maßnahmen” genügen nicht; stattdessen müssen spezifische Behand­lungs­wün­sche für klar definierte Situationen festgelegt werden. Die BGH-Urteile betonen die Bedeutung solcher Klarheit, um Missverständnisse zu vermeiden und die eigenen Wünsche im Ernstfall durchzusetzen.

Eine Patien­ten­ver­fü­gung muss klar und präzise formuliert sein, um im Ernstfall wirksam zu sein. Mehrere Urteile des Bundes­ge­richts­hofs (BGH) haben dies in den letzten Jahren verdeutlicht. Für viele Menschen bedeutet das: Ihre Patien­ten­ver­fü­gung könnte unwirksam sein, wenn sie zu allgemein formuliert ist. Dieser Artikel erklärt, was Sie bei der Erstellung einer rechts­si­che­ren Patien­ten­ver­fü­gung beachten sollten.

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Die weg­wei­sen­den BGH-Urteile im Überblick

Das erste Urteil: Juli 2016

Im Juli 2016 sorgte ein Urteil des Bundes­ge­richts­hofs für Aufsehen. Der BGH erklärte eine Patien­ten­ver­fü­gung für unwirksam, weil deren Inhalt zu ungenau formuliert war (Az. XII ZB 61/16)[1][5]. Eine Frau hatte in ihrer Patien­ten­ver­fü­gung lediglich eine “Ablehnung lebens­ver­län­gern­der Maßnahmen” angegeben, ohne zu präzisieren, welche Maßnahmen genau gemeint waren[7].

Das Problem: Diese pauschale Aussage ließ den Ärzt:innen zu viel Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum. Meinte die Verfasserin eine Reanimation? Eine künstliche Beatmung? Oder bereits eine künstliche Ernährung über eine Magensonde? Der BGH konnte nicht feststellen, was die Frau tatsächlich gewollt hatte, und erklärte die Patien­ten­ver­fü­gung daher für unwirksam[5].

Das zweite Urteil: Februar 2017

Sieben Monate später präzisierte der BGH seine Rechtsprechung (Az. XII ZB 604/15)[7][7]. In diesem Fall ging es um eine Patientin im Wachkoma, die jahrelang künstlich ernährt wurde. In ihrer Patien­ten­ver­fü­gung hatte sie festgelegt, dass sie keine lebens­ver­län­gern­den Maßnahmen wünsche, wenn keine Aussicht auf Wieder­er­lan­gung des Bewusst­seins bestehe[7].

Gleichzeitig lehnte die Frau in ihrer Patien­ten­ver­fü­gung jedoch aktive Sterbe­hilfe ab - was dem Unterlassen der künstlichen Ernährung zu widersprechen schien. Der BGH stellte fest, dass die Aussage “keine lebens­ver­län­gern­den Maßnahmen” für sich allein nicht ausreichend bestimmt sei, jedoch im Rahmen einer Gesamt­wür­di­gung durchaus für den Wunsch nach einem Abbruch bestimmter lebens­er­hal­ten­der Maßnahmen sprechen könne[7].

Das dritte Urteil: November 2018

In einem weiteren Urteil vom 14. November 2018 (Az. XII ZB 107/18) bekräftigte der BGH die Notwendigkeit maximaler medizinischer Genauigkeit bei allen Festlegungen in einer Patien­ten­ver­fü­gung[2].

Der BGH stellte fest, dass die präzise Benennung unerwünschter Behand­lungs­maß­nah­men “im Einzelfall” durch eine “Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten” oder Situationen ersetzt werden kann[2]. Dies bedeutet, dass eine Patien­ten­ver­fü­gung entweder konkrete Behand­lungs­maß­nah­men benennen oder sich auf sehr spezifische Krankheits­si­tua­tio­nen beziehen muss.

Was bedeuten die BGH-Urteile für Ihre Patien­ten­ver­fü­gung?

Die BGH-Urteile haben weitreichende Konsequenzen für Millionen von Patien­ten­ver­fü­gun­gen in Deutschland. Faktisch erklärte der BGH alle Patien­ten­ver­fü­gun­gen für wirkungslos, die ungenaue Festlegungen zu Umfang und Grenzen “lebens­ver­län­gern­der Maßnahmen” beinhalten[5][8].

Nach Einschätzung von Ärzt:innen betrifft dieses Problem den größten Teil aller in Deutschland erstellten Patien­ten­ver­fü­gun­gen[5]. Auch wenn Sie bereits eine Patien­ten­ver­fü­gung erstellt haben, sollten Sie diese kritisch prüfen und gegebenenfalls überarbeiten.

Die zentrale Erkenntnis aus den BGH-Urteilen: Nur konkrete Patien­ten­ver­fü­gun­gen sind wirksam. Ihre Patien­ten­ver­fü­gung muss spezifische Formulierungen und eindeutige Wünsche zu Themen wie künstlicher Ernährung, künstlicher Beatmung und Schmerz­be­hand­lung enthalten.

So formulieren Sie Ihre Patien­ten­ver­fü­gung rechtssicher

Um eine rechts­wirk­same Patien­ten­ver­fü­gung zu erstellen, sollten Sie folgende Punkte beachten:

Vermeiden Sie pauschale Formulierungen

Pauschale Aussagen wie “keine lebens­er­hal­ten­den Maßnahmen”, “ein würde­vol­les Sterben ermöglichen” oder “wenn keine Aussicht auf ein sinnvolles Leben besteht” sind zu unkonkret und reichen für eine wirksame Patien­ten­ver­fü­gung nicht aus[3].

Der BGH hat mehrfach betont, dass solche allgemeinen Aussagen keine hinreichend konkreten Behand­lungs­ent­schei­dun­gen darstellen[7]. Auch Begriffe wie “Erhaltung eines erträglichen Lebens” oder “angemessene Möglich­kei­ten” sind nicht präzise genug[7].

Beschreiben Sie konkrete Lebens- und Behand­lungs­si­tua­tio­nen

Ihre Patien­ten­ver­fü­gung sollte genau beschreiben, in welchen Situationen sie gelten soll[3][4]. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Unmittelbare Sterbe­phase
  • Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit
  • Schwere, dauerhafte Gehirn­schä­di­gung mit Bewusst­lo­sig­keit
  • Fortgeschrittene Demenz

Für jede dieser Situationen sollten Sie festlegen, welche medizinischen Maßnahmen Sie wünschen und welche nicht[4].

Benennen Sie konkrete medizinische Maßnahmen

Statt pauschaler Ablehnung “lebens­er­hal­ten­der Maßnahmen” sollten Sie in Ihrer Patien­ten­ver­fü­gung genau angeben, welche Behand­lungs­me­tho­den Sie in bestimmten Situationen ablehnen oder wünschen[3]. Dazu gehören beispielsweise:

Wichtig: Für jede dieser Maßnahmen sollten Sie klar angeben, ob Sie ihr zustimmen oder sie ablehnen - und zwar bezogen auf die zuvor beschriebenen konkreten Lebens- und Behand­lungs­si­tua­tio­nen[4].

Häufige Fehler bei Patien­ten­ver­fü­gun­gen

Viele Menschen machen bei der Erstellung ihrer Patien­ten­ver­fü­gung Fehler, die dazu führen können, dass das Dokument im Ernstfall unwirksam ist:

Verwendung von Formular-Vorlagen mit Ankreuz­mög­lich­kei­ten

Vermeiden Sie Formulare und Vorlagen zum Ankreuzen. Diese sind oft zu pauschal formuliert und entsprechen nicht den vom BGH geforderten Präzisions­an­for­de­run­gen. Jede Patien­ten­ver­fü­gung sollte individuell und konkret formuliert sein.

Widersprüchliche Aussagen

Achten Sie darauf, dass Ihre Patien­ten­ver­fü­gung keine wider­sprüch­li­chen Aussagen enthält. Im Fall des BGH-Urteils von 2017 hatte die Patientin sowohl lebens­ver­län­gern­de Maßnahmen abgelehnt als auch aktive Sterbe­hilfe, was zu Inter­pre­ta­ti­ons­pro­ble­men führte.

Fehlende Aktualität

Eine Patien­ten­ver­fü­gung sollte regelmäßig überprüft und bei Bedarf aktualisiert werden[9]. Eine zu alte Patien­ten­ver­fü­gung kann allein aufgrund der fehlenden Aktualität unwirksam sein. Es ist ratsam, Ihre Patien­ten­ver­fü­gung alle ein bis zwei Jahre zu überprüfen und mit Datum und Unterschrift zu bestätigen.

Die rechtliche Grundlage der Patien­ten­ver­fü­gung

Die gesetzliche Grundlage der Patien­ten­ver­fü­gung in Deutschland ist in § 1827 BGB verankert. Darin ist festgelegt, dass eine Patien­ten­ver­fü­gung schriftlich vorliegen muss und der Verfasser oder die Verfasserin volljährig und einwilligungs­fähig sein muss[9].

Seit dem 01.09.2009 müssen Patien­ten­ver­fü­gun­gen schriftlich sein. Mündliche Mitteilungen an Angehörige reichen nicht aus, um eine wirksame Patien­ten­ver­fü­gung zu erstellen.

Wer kann bei der Erstellung einer Patien­ten­ver­fü­gung helfen?

Da die Anforderungen an eine wirksame Patien­ten­ver­fü­gung hoch sind, kann es sinnvoll sein, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen:

  • Ärzt:innen: Besonders Mediziner:innen mit Erfahrung in der Intensiv-, Notfall- und Palliativ­me­di­zin können wertvolle Hilfe­stel­lung geben[8].
  • Rechts­an­wäl­t:in­nen und Notar:innen: Für die rechtlich korrekte Formulierung.
  • Beratungs­stel­len: Viele Kranken­häu­ser, Hospize und Patien­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen bieten Beratung zur Erstellung von Patien­ten­ver­fü­gun­gen an.

Hinweis: Eine notarielle Beglaubigung ist für die Gültigkeit einer Patien­ten­ver­fü­gung nicht erforderlich[9]. Die Rechts­kraft erhält sie allein durch Ihre eigene Unterschrift.

Aufbewahrung und Zu­gäng­lich­keit der Patien­ten­ver­fü­gung

Die beste Patien­ten­ver­fü­gung nützt nichts, wenn sie im Ernstfall nicht gefunden wird. Daher ist es wichtig, das Dokument so aufzubewahren, dass es bei Bedarf schnell verfügbar ist:

  • Informieren Sie Angehörige und Vertrauens­per­so­nen über die Existenz und den Aufbe­wah­rungs­ort Ihrer Patien­ten­ver­fü­gung.
  • Tragen Sie einen Hinweis in Ihrem Porte­mon­naie, dass Sie eine Patien­ten­ver­fü­gung haben und wo diese zu finden ist.
  • Geben Sie Ihrem Hausarzt oder Ihrer Hausärztin eine Kopie.
  • Erwägen Sie eine Registrierung im Zentralen Vorsorge­re­gis­ter der Bundes­no­tar­kam­mer.

Fazit: Eine präzise Patien­ten­ver­fü­gung ist unerlässlich

Die BGH-Urteile haben deutlich gemacht, dass eine Patien­ten­ver­fü­gung nur dann wirksam ist, wenn sie konkret formuliert ist. Allgemeine Aussagen wie “keine lebens­er­hal­ten­den Maßnahmen” reichen nicht aus. Stattdessen muss die Patien­ten­ver­fü­gung genau beschreiben, welche medizinischen Maßnahmen in welchen konkreten Situationen gewünscht oder abgelehnt werden.

Nehmen Sie sich Zeit für die Erstellung Ihrer Patien­ten­ver­fü­gung und ziehen Sie bei Bedarf fachkundige Hilfe hinzu. Eine sorgfältig formulierte Patien­ten­ver­fü­gung gibt Ihnen die Sicherheit, dass Ihre Wünsche im Ernstfall respektiert werden - und entlastet Ihre Angehörigen von schwierigen Entschei­dun­gen.