Das neue Betreuungsrecht seit 2023: Änderungen und Auswirkungen für Betroffene und Angehörige

Zusammenfassung

Die Betreuungsrechtsreform 2023 stärkt die Selbst­bestimmung betreuter Menschen und setzt den Grundsatz der Erforderlich­keit konsequent um. Wichtige Neuerungen umfassen unter anderem ein befristetes Ehegatten­vertretungs­recht, höhere Aufwands­pauschalen für ehren­amtliche Betreuer:innen und eine Registrierungs­pflicht für Berufs­betreuer:innen. Die Reform betont die Bedeutung von Vorsorge­dokumenten wie Patienten­verfügungen und Vorsorge­vollmachten, um die Eigenständigkeit der Betroffenen zu sichern.

Seit dem 1. Januar 2023 gilt in Deutschland ein grund­legend refor­miertes Betreuungs­recht. Die Neuerungen stärken die Selbst­bestimmung betroffener Personen und bringen zahl­reiche praktische Ver­besserungen mit sich. Dieser Artikel erklärt die wich­tigsten Änderungen und ihre Bedeutung für Betroffene und Angehörige. Die Reform betont vor allem die Selbst­bestimmung der betreuten Menschen und führt neue Ver­fahren für Berufs­betreuer:innen ein. Für Angehörige und ehren­amtliche Betreuer:innen gibt es eben­falls relevante Neu­regelungen, die mehr Unter­stützung und Auf­wands­entschädigung vorsehen.

Frau in weißer Bluse sitzt an einem Schreibtisch und liest Dokumente, Bücherregal und Zimmerpflanze im Hintergrund.

Die Betreuungs­rechts­reform: Hinter­grund und Ziele

Das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungs­rechts hat zu einer voll­ständigen Neu­strukturierung der gesetz­lichen Grund­lagen geführt. Die Reform orientiert sich an den Vorgaben des Artikels 12 der UN-Behinderten­rechts­konvention und setzt diese konsequent um[5].

Im Kern verfolgt die Reform zwei Haupt­ziele: Erstens soll die Selbst­bestimmung betroffener Menschen gestärkt werden. Zweitens wird der Grund­satz der Erforderlich­keit in der Betreuungs­praxis noch konsequenter umgesetzt. Das bedeutet: Eine recht­liche Betreuung soll nur dann und nur in dem Umfang ein­gerichtet werden, wie sie tatsäch­lich not­wendig ist[5].

Das neue Betreuungs­recht ist nun zusammen­hängend in den §§ 1814 ff. des Bürger­lichen Gesetz­buchs (BGB) geregelt. Zusätzlich wurde mit dem Betreuungs­organisations­gesetz (BtOG) ein neues Gesetz ein­geführt, das die organi­satorischen Rahmen­bedingungen regelt[3][11].

Die vier Grund­prinzipien des neuen Betreuungs­rechts

Das reformierte Betreuungs­recht basiert auf vier zentralen Grund­sätzen, die alle Aspekte der rechtlichen Betreuung durch­ziehen[12]:

1. Grund­satz der Erforderlich­keit

Die rechtliche Betreuung geht nur so weit und so lange wie nötig. Wenn andere Hilfen aus­reichend und verfügbar sind, werden diese bevorzugt eingesetzt. Eine sogenannte “Total­betreuung” in allen Angelegen­heiten ist nach dem neuen Recht aus­drücklich unzu­lässig. Statt­dessen müssen die Aufgaben­bereiche des Betreuers oder der Betreuerin konkret auf den Einzel­fall zu­geschnitten festgelegt werden (§ 1815 I BGB)[5].

2. Grund­satz der Selbst­bestimmung

Der:die rechtliche Betreuer:in muss sich an den Wünschen und dem Willen der betreuten Person orientieren. Im Mittel­punkt der Betreuung steht das selbst­bestimmte Leben der betreuten Person. Die Reform stärkt diesen Aspekt erheblich (§ 1821 BGB)[11][12].

3. Grund­satz der persön­lichen Betreuung

Nur wenn die Betreuung auch persönlich ist, kann der:die rechtliche Betreuer:in die Wünsche und Vorstellungen der betreuten Person bei der Erledigung der Angelegen­heiten berück­sichtigen. Der persönliche Kontakt ist daher ein wichtiger Bestand­teil einer guten Betreuungs­führung[12].

4. Vorrang der ehren­amtlichen Betreuung

Ein:e Berufs­betreuer:in wird nur dann bestimmt, wenn keine Person zur Verfügung steht, die die rechtliche Betreuung ehren­amtlich über­nehmen kann. Familien­angehörige werden bei der Auswahl bevorzugt berück­sichtigt[12].

Wichtige Neuerungen für Betroffene

Stärkung der Selbst­bestimmung

Die Reform legt besonderen Wert darauf, dass die Wünsche und der Wille der betreuten Person maß­geblich sind. Der:Die Betreuer:in hat die Angelegen­heiten der betreuten Person so zu besorgen, dass diese ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen gestalten kann (§ 1821 BGB)[11].

Besprechungs­pflicht

Betreuer:innen müssen wichtige Angelegen­heiten vor deren Erledigung mit der betreuten Person besprechen. Dies gilt besonders für medizinische Behandlungen, Wohnungs­angelegen­heiten und Vermögens­fragen. Dies soll sicher­stellen, dass die betreute Person in Entscheidungs­prozesse einbezogen wird[5][6].

Ehegatten­vertretungs­recht

Eine wichtige praktische Neuerung ist das befristete gesetzliche Ehegatten­notvertretungs­recht in Gesundheits­angelegen­heiten. Wenn ein Ehe­partner aufgrund von Bewusst­losigkeit oder Krankheit seine Angelegen­heiten nicht mehr selbst regeln kann, darf der andere Ehe­partner ihn für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten in Gesundheits­fragen vertreten. Dies gilt allerdings nur, wenn keine Vorsorge­vollmacht vorliegt und kein:e Betreuer:in bestellt wurde[6].

Änderungen für Betreuer:innen

Registrierungs­pflicht für Berufs­betreuer:innen

Berufs­betreuer:innen müssen sich seit der Reform bei der zuständigen Behörde registrieren lassen. Dafür müssen sie einen Sach­kunde­nachweis erbringen. Diese Regelung soll die Qualität der beruflichen Betreuung sichern[3][11].

Erhöhte Aufwands­pauschale für ehren­amtliche Betreuer:innen

Die Aufwands­pauschale für ehren­amtliche Betreuer:innen wurde auf 425 Euro erhöht (§ 1878 BGB). Dies soll die wichtige Arbeit der ehren­amtlichen Betreuer:innen, die oft Familien­angehörige sind, besser würdigen[11].

Wegfall des Vergütungs­verbots für Betreuungs­vereine

Betreuungs­vereine können nun ebenfalls eine Vergütung erhalten. Diese Änderung soll die wichtige Arbeit der Betreuungs­vereine, die sowohl berufliche als auch ehren­amtliche Betreuungen anbieten, finanziell absichern[11].

Praktische Aus­wirkungen der Reform

Für betreute Personen

Die Reform stärkt Ihre Rechte als betreute Person erheblich. Sie haben nun ein gesetzlich verankertes Recht darauf, dass Ihre Wünsche und Ihr Wille respektiert werden. Ihr:e Betreuer:in muss wichtige Entscheidungen mit Ihnen besprechen und Ihre Vor­stellungen berück­sichtigen. Wenn Sie mit der Arbeit Ihres Betreuers oder Ihrer Betreuerin nicht zufrieden sind, können Sie sich an das Betreuungs­gericht wenden[5][12].

Für Angehörige als ehren­amtliche Betreuer:innen

Als Angehörige:r haben Sie weiterhin Vorrang bei der Bestellung zum:zur Betreuer:in. Die erhöhte Aufwands­pauschale von 425 Euro jährlich erkennt Ihren Einsatz besser an. Zudem können Sie mehr Unter­stützung von Betreuungs­vereinen und Betreuungs­behörden erwarten, die gesetzlich zur Beratung und Unter­stützung ehren­amtlicher Betreuer:innen verpflichtet sind[11].

Für (potenzielle) Berufs­betreuer:innen

Wenn Sie als Berufs­betreuer:in tätig sein möchten, müssen Sie sich registrieren lassen und Ihre Sach­kunde nach­weisen. Dies umfasst Kennt­nisse des Betreuungs- und Sozial­rechts sowie Kennt­nisse der Kom­munikation mit betreuten Menschen und der Organisation einer Betreuung[3][9][11].

Vorsorge­vollmacht und Patienten­verfügung im Kontext des neuen Betreuungs­rechts

Die Reform unter­streicht die Bedeutung von Vorsorge­instrumenten wie der Vorsorge­vollmacht und der Patienten­verfügung. Diese Dokumente haben weiterhin Vorrang vor der Einrichtung einer rechtlichen Betreuung.

Wenn Sie mit einer Vorsorge­vollmacht eine Person Ihres Vertrauens bevoll­mächtigen, kann in vielen Fällen die Bestellung eines Betreuers oder einer Betreuerin vermieden werden. Ähnlich verhält es sich mit der Patienten­verfügung, die Ihre Wünsche für medizinische Behandlungen festlegt, falls Sie diese nicht mehr selbst äußern können[6].

Besonders wichtig: Das neue Betreuungs­recht betont noch stärker als zuvor die Bedeutung von vorab fest­gelegten Wünschen. Eine Patienten­verfügung oder Vorsorge­vollmacht kann Ihnen helfen, Ihre Selbst­bestimmung für die Zukunft zu sichern[5][12].

Fazit: Ein moderneres und personen­zentriertes Betreuungs­recht

Die Betreuungs­rechts­reform 2023 bringt die Selbst­bestimmung betroffener Menschen in den Mittel­punkt. Sie schafft klarere Strukturen und ver­bessert die Qualitäts­standards durch neue Anforderungen an Berufs­betreuer:innen. Für Angehörige bietet sie mehr Unter­stützung und Anerkennung.

Die neuen Regelungen bedeuten einen wichtigen Schritt zur Umsetzung der UN-Behinderten­rechts­konvention im deutschen Recht. Die Betonung der Selbst­bestimmung und des Erforder­lichkeits­grundsatzes zeigt, dass die recht­liche Betreuung nicht als Ent­mündigung, sondern als Unter­stützung zu einem möglichst selbst­bestimmten Leben verstanden wird[5][11][12].

Für alle Beteiligten lohnt es sich, die neuen Regelungen zu kennen und aktiv zu nutzen. Sie bieten die Chance auf eine bessere, an den Wünschen und Bedürfnissen der betreuten Person orientierte Betreuung.