Das neue Betreuungsrecht seit 2023: Änderungen und Auswirkungen für Betroffene und Angehörige
Zusammenfassung
Die Betreuungsrechtsreform 2023 stärkt die Selbstbestimmung betreuter Menschen und setzt den Grundsatz der Erforderlichkeit konsequent um. Wichtige Neuerungen umfassen unter anderem ein befristetes Ehegattenvertretungsrecht, höhere Aufwandspauschalen für ehrenamtliche Betreuer:innen und eine Registrierungspflicht für Berufsbetreuer:innen. Die Reform betont die Bedeutung von Vorsorgedokumenten wie Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten, um die Eigenständigkeit der Betroffenen zu sichern.
- Die Betreuungsrechtsreform: Hintergrund und Ziele
- Die vier Grundprinzipien des neuen Betreuungsrechts
- Wichtige Neuerungen für Betroffene
- Änderungen für Betreuer:innen
- Praktische Auswirkungen der Reform
- Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung im Kontext des neuen Betreuungsrechts
- Fazit: Ein moderneres und personenzentriertes Betreuungsrecht
Seit dem 1. Januar 2023 gilt in Deutschland ein grundlegend reformiertes Betreuungsrecht. Die Neuerungen stärken die Selbstbestimmung betroffener Personen und bringen zahlreiche praktische Verbesserungen mit sich. Dieser Artikel erklärt die wichtigsten Änderungen und ihre Bedeutung für Betroffene und Angehörige. Die Reform betont vor allem die Selbstbestimmung der betreuten Menschen und führt neue Verfahren für Berufsbetreuer:innen ein. Für Angehörige und ehrenamtliche Betreuer:innen gibt es ebenfalls relevante Neuregelungen, die mehr Unterstützung und Aufwandsentschädigung vorsehen.

Die Betreuungsrechtsreform: Hintergrund und Ziele
Das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts hat zu einer vollständigen Neustrukturierung der gesetzlichen Grundlagen geführt. Die Reform orientiert sich an den Vorgaben des Artikels 12 der UN-Behindertenrechtskonvention und setzt diese konsequent um[5].
Im Kern verfolgt die Reform zwei Hauptziele: Erstens soll die Selbstbestimmung betroffener Menschen gestärkt werden. Zweitens wird der Grundsatz der Erforderlichkeit in der Betreuungspraxis noch konsequenter umgesetzt. Das bedeutet: Eine rechtliche Betreuung soll nur dann und nur in dem Umfang eingerichtet werden, wie sie tatsächlich notwendig ist[5].
Das neue Betreuungsrecht ist nun zusammenhängend in den §§ 1814 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt. Zusätzlich wurde mit dem Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG) ein neues Gesetz eingeführt, das die organisatorischen Rahmenbedingungen regelt[3][11].
Die vier Grundprinzipien des neuen Betreuungsrechts
Das reformierte Betreuungsrecht basiert auf vier zentralen Grundsätzen, die alle Aspekte der rechtlichen Betreuung durchziehen[12]:
1. Grundsatz der Erforderlichkeit
Die rechtliche Betreuung geht nur so weit und so lange wie nötig. Wenn andere Hilfen ausreichend und verfügbar sind, werden diese bevorzugt eingesetzt. Eine sogenannte “Totalbetreuung” in allen Angelegenheiten ist nach dem neuen Recht ausdrücklich unzulässig. Stattdessen müssen die Aufgabenbereiche des Betreuers oder der Betreuerin konkret auf den Einzelfall zugeschnitten festgelegt werden (§ 1815 I BGB)[5].
2. Grundsatz der Selbstbestimmung
Der:die rechtliche Betreuer:in muss sich an den Wünschen und dem Willen der betreuten Person orientieren. Im Mittelpunkt der Betreuung steht das selbstbestimmte Leben der betreuten Person. Die Reform stärkt diesen Aspekt erheblich (§ 1821 BGB)[11][12].
3. Grundsatz der persönlichen Betreuung
Nur wenn die Betreuung auch persönlich ist, kann der:die rechtliche Betreuer:in die Wünsche und Vorstellungen der betreuten Person bei der Erledigung der Angelegenheiten berücksichtigen. Der persönliche Kontakt ist daher ein wichtiger Bestandteil einer guten Betreuungsführung[12].
4. Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung
Ein:e Berufsbetreuer:in wird nur dann bestimmt, wenn keine Person zur Verfügung steht, die die rechtliche Betreuung ehrenamtlich übernehmen kann. Familienangehörige werden bei der Auswahl bevorzugt berücksichtigt[12].
Wichtige Neuerungen für Betroffene
Stärkung der Selbstbestimmung
Die Reform legt besonderen Wert darauf, dass die Wünsche und der Wille der betreuten Person maßgeblich sind. Der:Die Betreuer:in hat die Angelegenheiten der betreuten Person so zu besorgen, dass diese ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen gestalten kann (§ 1821 BGB)[11].
Besprechungspflicht
Betreuer:innen müssen wichtige Angelegenheiten vor deren Erledigung mit der betreuten Person besprechen. Dies gilt besonders für medizinische Behandlungen, Wohnungsangelegenheiten und Vermögensfragen. Dies soll sicherstellen, dass die betreute Person in Entscheidungsprozesse einbezogen wird[5][6].
Ehegattenvertretungsrecht
Eine wichtige praktische Neuerung ist das befristete gesetzliche Ehegattennotvertretungsrecht in Gesundheitsangelegenheiten. Wenn ein Ehepartner aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann, darf der andere Ehepartner ihn für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten in Gesundheitsfragen vertreten. Dies gilt allerdings nur, wenn keine Vorsorgevollmacht vorliegt und kein:e Betreuer:in bestellt wurde[6].
Änderungen für Betreuer:innen
Registrierungspflicht für Berufsbetreuer:innen
Berufsbetreuer:innen müssen sich seit der Reform bei der zuständigen Behörde registrieren lassen. Dafür müssen sie einen Sachkundenachweis erbringen. Diese Regelung soll die Qualität der beruflichen Betreuung sichern[3][11].
Erhöhte Aufwandspauschale für ehrenamtliche Betreuer:innen
Die Aufwandspauschale für ehrenamtliche Betreuer:innen wurde auf 425 Euro erhöht (§ 1878 BGB). Dies soll die wichtige Arbeit der ehrenamtlichen Betreuer:innen, die oft Familienangehörige sind, besser würdigen[11].
Wegfall des Vergütungsverbots für Betreuungsvereine
Betreuungsvereine können nun ebenfalls eine Vergütung erhalten. Diese Änderung soll die wichtige Arbeit der Betreuungsvereine, die sowohl berufliche als auch ehrenamtliche Betreuungen anbieten, finanziell absichern[11].
Praktische Auswirkungen der Reform
Für betreute Personen
Die Reform stärkt Ihre Rechte als betreute Person erheblich. Sie haben nun ein gesetzlich verankertes Recht darauf, dass Ihre Wünsche und Ihr Wille respektiert werden. Ihr:e Betreuer:in muss wichtige Entscheidungen mit Ihnen besprechen und Ihre Vorstellungen berücksichtigen. Wenn Sie mit der Arbeit Ihres Betreuers oder Ihrer Betreuerin nicht zufrieden sind, können Sie sich an das Betreuungsgericht wenden[5][12].
Für Angehörige als ehrenamtliche Betreuer:innen
Als Angehörige:r haben Sie weiterhin Vorrang bei der Bestellung zum:zur Betreuer:in. Die erhöhte Aufwandspauschale von 425 Euro jährlich erkennt Ihren Einsatz besser an. Zudem können Sie mehr Unterstützung von Betreuungsvereinen und Betreuungsbehörden erwarten, die gesetzlich zur Beratung und Unterstützung ehrenamtlicher Betreuer:innen verpflichtet sind[11].
Für (potenzielle) Berufsbetreuer:innen
Wenn Sie als Berufsbetreuer:in tätig sein möchten, müssen Sie sich registrieren lassen und Ihre Sachkunde nachweisen. Dies umfasst Kenntnisse des Betreuungs- und Sozialrechts sowie Kenntnisse der Kommunikation mit betreuten Menschen und der Organisation einer Betreuung[3][9][11].
Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung im Kontext des neuen Betreuungsrechts
Die Reform unterstreicht die Bedeutung von Vorsorgeinstrumenten wie der Vorsorgevollmacht und der Patientenverfügung. Diese Dokumente haben weiterhin Vorrang vor der Einrichtung einer rechtlichen Betreuung.
Wenn Sie mit einer Vorsorgevollmacht eine Person Ihres Vertrauens bevollmächtigen, kann in vielen Fällen die Bestellung eines Betreuers oder einer Betreuerin vermieden werden. Ähnlich verhält es sich mit der Patientenverfügung, die Ihre Wünsche für medizinische Behandlungen festlegt, falls Sie diese nicht mehr selbst äußern können[6].
Besonders wichtig: Das neue Betreuungsrecht betont noch stärker als zuvor die Bedeutung von vorab festgelegten Wünschen. Eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht kann Ihnen helfen, Ihre Selbstbestimmung für die Zukunft zu sichern[5][12].
Fazit: Ein moderneres und personenzentriertes Betreuungsrecht
Die Betreuungsrechtsreform 2023 bringt die Selbstbestimmung betroffener Menschen in den Mittelpunkt. Sie schafft klarere Strukturen und verbessert die Qualitätsstandards durch neue Anforderungen an Berufsbetreuer:innen. Für Angehörige bietet sie mehr Unterstützung und Anerkennung.
Die neuen Regelungen bedeuten einen wichtigen Schritt zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im deutschen Recht. Die Betonung der Selbstbestimmung und des Erforderlichkeitsgrundsatzes zeigt, dass die rechtliche Betreuung nicht als Entmündigung, sondern als Unterstützung zu einem möglichst selbstbestimmten Leben verstanden wird[5][11][12].
Für alle Beteiligten lohnt es sich, die neuen Regelungen zu kennen und aktiv zu nutzen. Sie bieten die Chance auf eine bessere, an den Wünschen und Bedürfnissen der betreuten Person orientierte Betreuung.