Ange­hörige enter­ben: Recht­liche Grund­lagen und prak­tische Tipps

Zusammenfassung

Die Enterbung von Angehörigen ist in Deutschland durch ein Testament oder einen Erbvertrag möglich, jedoch bleibt nahen Verwandten wie Kindern, Ehepartner:innen oder Eltern meist der Pflichtteilsanspruch erhalten. Dieser beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und kann nur unter strengen Voraussetzungen entzogen werden. Alternativen wie ein Pflichtteilsverzicht oder Schenkungen zu Lebzeiten können Konflikte vermeiden und sollten sorgfältig geprüft werden.

Die Entscheidung, jemanden vom Erbe auszuschließen, ist oft mit familiären Konflikten verbunden. Dieser Beitrag erklärt Ihnen, wie Sie Angehörige rechts­sicher enterben können und welche Folgen das hat.

Hand schreibt mit einem Füller auf ein Dokument, im Hintergrund ein Buch auf einem Holztisch in einem Büro.

Die recht­liche Grundlage der Enterbung

Das deutsche Erbrecht basiert auf dem Prinzip der Testier­freiheit. Dies bedeutet, dass Sie grundsätzlich frei entscheiden können, wer Ihr Vermögen erben soll. Die gesetzliche Grundlage für die Enterbung findet sich in § 1938 BGB, der festlegt, dass Sie durch Testament einen Verwandten, den Ehe­gatten oder den Lebens­partner von der gesetz­lichen Erbfolge ausschließen können.

Wer kann enterbt werden?

Sie können nur Personen enterben, die nach der gesetz­lichen Erbfolge erb­berechtigt wären. Das Erbrecht in Deutschland teilt mögliche Erb:innen in verschiedene Ordnungen ein:

  • Erb:innen erster Ordnung: Ihre Kinder und Enkel­kinder
  • Erb:innen zweiter Ordnung: Ihre Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen
  • Erb:innen dritter Ordnung: Ihre Groß­eltern, Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen
  • Erb:innen vierter Ordnung: Urgroß­eltern und weitere entfernte Verwandte

Ehe­partner:innen und ein­ge­tragene Lebens­partner:innen nehmen eine Sonder­stellung ein und haben unabhängig von den Ordnungen immer einen Erb­anspruch.

Besonders zu beachten: Erb:innen der ersten Ordnung schließen alle anderen Erb:innen aus. Das bedeutet: Wenn es Erb:innen der ersten Ordnung gibt, erbt niemand aus den niedrigeren Ordnungen - mit Ausnahme des:der Ehe­partner:in[5].

Wie funktioniert eine Enterbung?

Um jemanden zu enterben, müssen Sie ein Testament oder einen Erb­vertrag erstellen. Darin können Sie:

  • Ausdrücklich formulieren: “Meine Tochter soll nicht erben” oder “Mein Sohn wird auf den Pflichtteil gesetzt”[3]
  • Andere als Allein­erb:innen einsetzen: “Meine Frau ist Allein­erbin” (dadurch werden andere automatisch enterbt)[10]

Für ein wirksames Testament reicht es aus, wenn Sie es hand­schriftlich verfassen und unterschreiben. Ein:e Notar:in ist nicht zwingend notwendig. Sie müssen auch keine Gründe für die Enterbung angeben[4][10].

Der Pflicht­teils­anspruch: Was bedeutet das für Sie?

Auch wenn Sie jemanden enterben, haben bestimmte nahe Angehörige Anspruch auf den sogenannten Pflichtteil. Dieser ist in § 2303 BGB gesetzlich verankert. Pflichtteilsberechtigt sind:

  • Ihre Kinder und Enkel­kinder (falls Ihre Kinder bereits verstorben sind)
  • Ihr:e Ehe­partner:in oder ein­ge­tragene:r Lebens­partner:in
  • Ihre Eltern (aber nur, wenn Sie keine Kinder haben)[5][7]

Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetz­lichen Erbteils. Wenn Ihr Kind also normaler­weise 25% Ihres Vermögens erben würde, beträgt sein Pflichtteil 12,5%[7][10].

Wichtig zu wissen: Der Pflichtteil ist ein reiner Geld­anspruch. Die enterbte Person hat keinen Anspruch auf bestimmte Gegen­stände oder Immobilien aus dem Nachlass, sondern nur auf eine entsprechende Geld­zahlung[7].

Der Anspruch auf den Pflichtteil muss aktiv geltend gemacht werden und verjährt drei Jahre nach Kenntnis vom Erbfall und der Enterbung[10].

Ein Praxis­beispiel zur Verdeutlichung:

Herbert M. möchte sein Vermögen von 200.000 Euro seiner Frau Helga hinterlassen. Seine Tochter Luise, zu der er seit Jahren keinen Kontakt mehr hat, möchte er enterben. Er schreibt in seinem Testament: “Meine Frau Helga soll Allein­erbin sein. Meine Tochter Luise soll nichts erben.”

Nach Herberts Tod erhält Helga das gesamte Erbe. Luise hat jedoch Anspruch auf ihren Pflichtteil. Da sie nach gesetz­licher Erbfolge 25% des Vermögens (50.000 Euro) erhalten hätte, beträgt ihr Pflichtteil 12,5% (25.000 Euro). Diesen Betrag muss Helga an Luise auszahlen[10].

Kann der Pflichtteil entzogen werden?

Ein vollständiger Entzug des Pflichtteils ist nur unter sehr strengen Voraus­setzungen möglich. Die Gründe dafür sind in § 2333 BGB abschließend geregelt:

  1. Die enterbte Person hat dem Erblasser, dessen Ehe­partner:in oder einem Kind nach dem Leben getrachtet
  2. Die enterbte Person hat eine vorsätzliche körperliche Misshandlung des Erblassers oder einer ihm nahestehenden Person begangen
  3. Die enterbte Person hat sich eines Verbrechens oder schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Erblasser oder eine ihm nahestehende Person schuldig gemacht
  4. Die enterbte Person hat schuldhaft eine gesetz­liche Unter­halts­pflicht gegenüber dem Erblasser verletzt
  5. Die enterbte Person wurde wegen einer vorsätz­lichen Straftat zu einer Freiheits­strafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung verurteilt[3][18]

Ein einfacher Kontakt­abbruch reicht nicht aus, um den Pflichtteil zu entziehen. Dies hat der Bundes­gerichts­hof mehrfach bestätigt[3].

Wenn Sie den Pflichtteil entziehen möchten, müssen Sie dies im Testament ausdrücklich anordnen und den Grund genau angeben. Außerdem dürfen Sie der Person nicht verziehen haben[3][18].

Alternativen zur Enterbung

Wenn Sie verhindern möchten, dass eine bestimmte Person von Ihrem Vermögen profitiert, gibt es neben der Enterbung noch andere Möglichkeiten:

Pflicht­teils­verzicht vereinbaren

Die wirksamste Methode ist ein notariell beurkundeter Pflicht­teils­verzicht nach § 2346 BGB. Dabei verzichtet die betreffende Person freiwillig auf ihren Pflichtteil, meist gegen eine Abfindungs­zahlung zu Lebzeiten. Diese Vereinbarung muss von einem:einer Notar:in beurkundet werden[3].

Vermögen zu Lebzeiten verschenken

Sie können Ihr Vermögen bereits zu Lebzeiten an die gewünschten Erb:innen verschenken. Beachten Sie jedoch die 10-Jahres-Frist nach § 2325 BGB: Geschenke, die innerhalb der letzten zehn Jahre vor dem Tod gemacht wurden, können teilweise zum Pflichtteil hinzu­gerechnet werden (Pflicht­teils­ergänzungs­anspruch)[17].

Berliner Testament

Ehe­partner:innen können ein Berliner Testament errichten, in dem sie sich gegenseitig als Allein­erb:in einsetzen und die Kinder erst nach dem Tod des letzten Elternteils erben. Dadurch werden die Kinder zunächst enterbt, haben aber einen Pflicht­teils­anspruch, auf den sie verzichten können[10][12].

Auswirkungen einer Enterbung auf Angehörige

Eine Enterbung hat nicht nur rechtliche, sondern auch emotionale Folgen. Pflegende Angehörige können besonders betroffen sein, wenn sie nach jahrelanger Pflege­arbeit enterbt werden. Studien zeigen, dass in Deutschland überwiegend Familien­angehörige die Pflege übernehmen, meist Frauen im höheren Alter[13].

Die Enterbung kann in solchen Fällen als mangelnde Wert­schätzung für die geleistete Arbeit empfunden werden. Bei pflegenden Angehörigen kann dies die ohnehin bestehende psychische Belastung verstärken[8]. Berücksichtigen Sie diese Aspekte bei Ihrer Entscheidung.

Checkliste: Enterbung rechts­sicher gestalten

  • Überlegen Sie genau, ob eine Enterbung wirklich notwendig ist
  • Erstellen Sie ein form­gültiges Testament (hand­schriftlich verfasst und unterschrieben)
  • Benennen Sie klar, wer enterbt werden soll oder setzen Sie andere Person(en) als Allein­erb:in ein
  • Bedenken Sie den Pflicht­teils­anspruch in Ihrer finanziellen Planung
  • Prüfen Sie Alternativen wie einen notariellen Pflicht­teils­verzicht oder Schenkungen zu Lebzeiten
  • Lassen Sie sich im Zweifelsfall rechtlich beraten, besonders bei hohen Vermögens­werten oder komplexen Familien­verhältnissen

Was passiert nach dem Tod mit der Patienten­verfügung?

Nach dem Tod erhalten Angehörige unter bestimmten Umständen Einsicht in medizinische Unterlagen. Nach § 630g Abs. 3 BGB können Erben und nächste Angehörige Einsicht in die Patienten­akte verlangen. Dieses Recht kollidiert jedoch mit der ärztlichen Schweigepflicht, die über den Tod hinaus gilt. Eine Einsichtnahme ist ausgeschlossen, wenn der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht[9].

Bei einer Enterbung bleibt dieser Grund­satz bestehen. Enterbte Angehörige mit Pflicht­teils­anspruch können Einsicht in notwendige Unterlagen verlangen, um ihren Anspruch zu berechnen. Das betrifft jedoch in erster Linie finanzielle Unterlagen, nicht zwangsläufig medizinische Daten.

Fazit

Die Enterbung eines Angehörigen ist rechtlich möglich, aber der Pflicht­teils­anspruch bleibt in der Regel bestehen. Nur unter sehr eng gefassten Bedingungen kann auch der Pflichtteil entzogen werden. Überlegen Sie daher gut, ob eine Enterbung der richtige Weg ist oder ob andere Lösungen wie ein Pflicht­teils­verzicht oder ein Berliner Testament für Ihre Situation besser geeignet sind. Eine frühzeitige Beratung kann helfen, spätere Konflikte zu vermeiden.